Können Sie Faltboot?
Zur neuen Ausstellung „Fluss des Moments“ in der Galerie Bernau
Sabine Miereke / Kuratorin
Die fragende Überschrift mag provokant sein – aber zumindest Gregor Krampitz, einer der beiden Künstler der neuen Ausstellung in der Galerie Bernau, kann diese Frage reinsten Gewissens bejahen. Und in der Tat erinnern die Objekte, die er im größten Raum der Galerie und deren Innenhof präsentiert, an die Fingerübungen mit jeglichem Papier, die uns alle durch unsere Kindheit begleitet haben. Krampitz, im Grenzgebiet Ostberlins groß geworden, faltete mit wachsender Begeisterung und gab die Ergebnisse seines Tuns im Angesicht der Grenzsoldaten mit einer Mischung aus Spielfreude und kindlicher Subversivität den Wassern der Panke anheim: dahintreibend in ein nahes und doch unerreichbar scheinendes Land, weg von jeglicher Enge. An Bord eine Fülle naiver Fragen und Sehnsüchte an die Fremde. Das prägte und blieb im Gedächtnis.
Viel später, schon erwachsen und künstlerisch unterwegs, besann Krampitz sich auf diese frühen Erfahrungen. Erstmalig verarbeitete er 2010 diese prägenden Erlebnisse, indem er überdimensioniert seine Kindheitsfaltboote in Kunststoff, also auch Zeit überdauern könnend, nachbildete und sie im Spreewald schwimmend und sich im Wasser spiegelnd, dem Publikum präsentierte. Dafür erhielt er seinerzeit den Kunstpreis der 6. Aquamediale. Jene Armada hat über die Jahre Zuwachs erfahren und präsentiert sich nun den Besuchern der Galerie Bernau: der Fußboden des inneren Ausstellungsraumes und das Hofsteinpflaster werden zum neuen „Wasser“, auf dem die Boote ihre Bahn ziehen. Hier greift die künstlerische Kooperation mit Karsten Kelsch, der dafür den gestalterischen Background liefert. Kelschs Material ist Papier. Aus dem lässt er Landschaften entstehen, indem er Lagen gerissener Papierbahnen übereinander schichtet, die an der Unterseite gestaffelt sind und, sich überlagernd, Tiefenwirkung erzeugen. Mit den Struktur gebenden Bemalungen auf Papier auf Papier auf Papier erschafft er fiktionale Raumvorstellungen, die den Betrachter in seine Sicht von Welt im Landschaftsausschnitt mitnehmen. Grafische Zeichen, eruptiv verdichtet, sich wieder auflösend und teilweise kratzend bearbeitet, spannen sich über die oberste Papierlage. Man meint, in eine Berglandschaft involviert zu sein. Oder ist es doch die Anmutung von Wasserfall? Gleichwie - es ist Natur und die kommt gewaltig und auch ein wenig gewalttätig daher. Sinnlich spürbar die darin liegende Kraft. Die Hintergründigkeit von Karsten Kelschs Arbeiten ist dabei durchaus doppeldeutig zu begreifen. Letztlich verführt er uns in eine Raumtiefe, welche auf den ersten Blick nicht aus der Materialität von Papier erklärbar scheint. Das Arbeitsprinzip und die Ästhetik des Künstlers werden zudem in extra zugeordneten kleineren Arbeiten deutlich.
Einmal vom Virus des Schweifens in die Ferne beseelt, wechseln in beider Gestaltung die Motive. Was ursprünglich von Wassern bewegt dahin strebt, schwingt sich im Eingangsbereich der Galerie nun als Krampitz‘ Flugobjekt himmelwärts und wird dortselbst durch Kelschs Papierrelief im Hintergrund geortet und befriedet. Immer aber dieses Hinaus und Hinfort; die Haltung des Erprobens und Auskostens von Grenzen als ein Vehikel, aus dem Kunst erwachsen kann. Später Tribut an Kindheitserfahrung und als deren Bleibendes ein Ausbrechen aus dem Kreisen um Alltäglichkeit.
Ungewöhnlich, und damit ebenso fernab von Gewohntem, präsentieren beide Künstler im Ateliergebäude der Galerie eine Schatten-Klang-Installation. Gabeln jeglicher Provenienz, die über die Zeit des Nichtgebrauchs Patina angesetzt haben, hängen von der Raumdecke herab als vielteiliges, scheinbar schwebendes Objekt und werfen im wechselnden Lichteinfall ihre Schatten an die Wand, so, wie sich vor Jahren Krampitz‘ Boote im Spreewaldwasser spiegelten. Anderer Ort, anderes Material, gleiches Prinzip. Geraten diese metallenen, patinierten Alltagsgegenstände im Luftzug der geöffneten Tür in Schwingung, kommen mit ihnen auch ihre Schattenbilder in Bewegung. Die Lebendigkeit im Raum betrifft das reale Objekt wie auch sein Projektionsbild. Ganz nebenher kann es je nach Heftigkeit des Luftzuges zum Klingen und Bimmeln im gegenseitigen Anstoßen der aufgehängten Teile kommen. Berührt sein entsteht durch Berührung. Aber ist es so nicht überhaupt?
Zur Vernissage lädt die Galerie am 11. Juli ab 19 Uhr. Die Ausstellung ist bis zum 23. August zu den offiziellen Öffnungszeiten zu sehen. Über Sonderveranstaltungen wird rechtzeitig per Pressemitteilung informiert.
Öffnungszeiten: Die. – Fr.: 10-18 Uhr, Sa.: 10-16 Uhr
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